RESONANZ IM ÖFFENTLICHEN RAUM
WOZU BRAUCHT SALZBURG DANN NOCH DIE KUNST?
Ein Beitrag von Hildegard Fraueneder
SALZBURG, SO HEISST ES, ist eine außergewöhnlich schöne Stadt; sie ist einzigartig - zumindest in ihrem Kern, in ihrer Mitte. Denn hier sind die Fassaden aufpoliert, viele Märkte inszeniert und die Plätze zeigen sich befreit von den Mühen der Arbeit und den Lüsten des Lebens.
Wie wir eine (unsere) Stadt erfahren ist allerdings nicht bloß eine persönliche Angelegenheit oder eine subjektive Note, es sind immer auch Bilder, die uns vorführen, was eine Stadt zu bieten hat, was wir von ihr erwarten oder eben auch erfahren wollen. Salzburg gilt nicht nur als ‚schöne Stadt‘, sondern weitaus mehr noch als höchst attraktive Kulturstadt: Kultur, die wiederum vornehmlich in und rund um die Altstadt zentriert zu finden ist. In einer Altstadt, die sich zu einem großen Teil als ‚ausgestellte Stadt‘ darbietet, als ein geschlossenes Ensemble von Bauten, Plätzen und Anlagen, die als immer schon so da Gewesene gelesen werden. Dieser Stadtraum ist nicht nur der bevorzugte Aufenthaltsraum für die TouristenInnen, er dient auch der Identifizierung der BewohnerInnen mit ihrer Stadt. Trotz und vor allem wegen der Verwandlung des Innenstadtbereiches in exklusive Orte des Konsums und der Unterhaltung kann dieser Stadtteil in Abgrenzung zu den umliegenden Zonen, die mit einer steten Modernisierung und Entwicklung identifiziert werden, als "Altstadt" konstruiert werden. In diesem bildmächtigen Konstrukt kann sie als ein Eigenes - der Stadt und ihren BewohnerInnen Gehörendes - behauptetet werden, das der Gedächtnisstiftung und der Selbstvergewisserung dient.
So ist es wenig verwunderlich, dass der Altstadt in einer solchen Konstruktion nur noch diskursive Randbereiche für die Gegenwart, für gesellschaftliche Aktualitäten, für die zeitgenössische Kunst zugestanden werden. Veränderungen von Platzräumen durch neu aufgestellte Kunstwerke oder auch nur temporäre Eingriffe werden deshalb als Abweichung und ‚Fremdheit‘ aufgefasst und häufig abgelehnt.
KUNST ERREGT DIE GEMÜTER
Einen gesellschaftlichen Konsens zu Kunst gibt es nicht und kann es nicht geben, da Kunst immer auch mit Fragen der Störung und des Widerspruchs behaftet sein wird, denn ohne die Wahrnehmung zu irritieren könnte sie weder neue Erlebensräume noch andere Sichtweisen auf gewohnte Wahrnehmungsmodi bieten, ohne diese wäre sie reine Dekoration oder Bestätigung. Indem Kunst immer auch damit zu tun hat, Bild- und Denkmuster aufzubrechen, zum Sichtbaren auch das Denkbare in Beziehung zu setzen und mittels neuer Konfigurationen Fragen zu stellen, wird und soll sie zu Diskussion, Auseinandersetzung und Debatte anregen. Doch nirgendwo sonst kommen die streitbaren Auffassungen von Kunst stärker zum Ausdruck als bei den Errichtungen von Kunstwerken auf städtischen Plätzen in der Altstadtzone. Seit 2002 ist Salzburg Schauplatz der Kunstprojekte der ‚Salzburg Foundation‘, die auf zehn Jahre angelegt die Innenstadt in einen international beachteten Skulpturenpark zu verwandeln gedenkt; Jahr für Jahr werden Werke bekannter KünstlerInnen an markanten Orten der Innenstadt aufgestellt, die mit privaten Geldern finanziert sind. In Ansprachen und Veröffentlichungen werden die Beweggründe für die Investition in Salzburg mit der Schönheit der Stadt, ihrer Geschichte des Mäzenatentums und einer Weiterentwicklung des Weltkulturerbes der Salzburger Altstadt argumentiert.
Erinnert sei auch an die Kunstwerke, die im Rahmen des Festivals "kontracom" 2006 in der Innenstadt unter der Schirmherrschaft von Stadt und Land Salzburg realisiert worden waren, die bei vielen SalzburgerInnen auf heftige Ablehnung stießen, im Besonderen ein auf den Rotorblättern liegender Hubschrauber auf dem Residenzplatz von Paola Pivi und das höchst kontroversiell diskutierte Projekt "Salzburg bleib frei" von Christoph Büchel, eine Unterschriftensammlung für ein Bürgerbegehren mit dem Ziel, die öffentlichen Räume der Altstadt für fünf Jahre frei von Gegenwartskunst zu halten. Eine differenzierende Argumentation und Diskussion wurde durch die im Vorfeld geführte massenmediale Skandalisierung und der damit geschürten Aufgebrachtheit der Salzburger Bevölkerung zumeist verhindert. Auffallend an beiden Projekten ist nicht nur die örtliche Konzentration auf den Altstadtbereich, vielmehr auch - trotz einiger Ausnahmen - ein konventionell anmutendes Verständnis von künstlerischen Möglichkeiten, auf städtische Situationen und soziale Räume zu reagieren oder in diesen zu agieren.
Obgleich sie - vor allem die von der Salzburg Foundation initiierten Kunstwerke - also in ihrem Aussehen einer konventionellen Auffassung von skulpturaler Kunst entsprechen, werden sie als das gewohnte Stadtbild störend empfunden. Da hilft es auch nicht weiter, wenn darauf verwiesen wird, dass diese Kunstwerke "dem Steuerzahler" nichts kosten, denn von einer "ökonomiefreien" Handlung kann auch hier keine Rede sein. Rückt man die grundlegenden ökonomischen Interessen in den Blick, so ist auf der einen Seite der Beitrag der Kunst zur Ästhetisierung oder kulturellen Aufladung des Stadtbildes zu nennen, und auf der anderen Seite das ebenso ökonomisch motivierte Interesse von Veranstaltern, mittels "exklusiver Umgebungen", die vor allem Aufmerksamkeit garantieren, die jeweiligen Kunstwerke aufzuwerten.
IN DER ÖFFNUNG EIN WERDEN ERMÖGLICHEN ...
Welches Interesse hat aber die Stadtbevölkerung? Will sie denn mit zeitgenössischer Kunst auf ihren Wegen durch die Stadt konfrontiert oder auch nur beschenkt werden, und vor allem wie und mit welcher? Nicht alle SalzburgerInnen stehen den genannten Initiativen ablehnend gegenüber und es würde am Konflikt vorbeigehen, den KritikerInnen lediglich ein konservatives Kunstverständnis zuzuschreiben, wie es vielfach - vor allem in den Medien - behauptet worden ist.
Seitens der Kunst gibt es kein wie auch immer argumentierbares Anrecht auf den öffentlichen Raum einer Stadt und es macht im Vorhinein auch keinen Sinn, eine Berechtigung von Kunst hier nachweisen zu wollen, vielmehr sollte man großzügig und auch neugierig eine Öffnung denken, die auch, wie der Philosoph A. G. Düttmann es formulierte, ein Werden ist. Eine Öffnung also, in der sich auch in Momenten der Auseinandersetzung und der Konflikte Öffentlichkeit bilden wird können, in der abseits ökonomischer Kriterien - und das heißt außerhalb einer Zweckorientierung - debattiert werden kann.
Öffentlichkeit ist aber auch eine Frage von Gemeinschaft, von zivilgesellschaftlichen Modellen. Man kann Öffentlichkeit weder bauen noch stadtplanerisch oder marketingstrategisch verordnen, vor allem kann sie weder durch Gebautes noch durch Kunst unmittelbar ins Leben gerufen werden. Öffentlichkeit ereignet sich gelegentlich und unvorhersehbar, so wie sich heute auch Kunst unvorhersehbar "ereignet", nachdem es keine konstitutiven Kriterien für sie gibt und sich ihre Wirkkraft somit auch erst im Nachhinein zeigen kann. An ihrer Bewertung sind viele unterschiedliche Disziplinen, Professionen und Felder beteiligt, die immer aus singulären Perspektiven strittig sein wird. Dieser Auseinandersetzungsprozess findet vor allem auch im Kontext ästhetischer Erwartungen statt, der darüber entscheidet, was noch Kunst ist und was nicht, was relevante Kunst ist oder was nicht. Auf den Salzburger Plätzen, an Fassaden und in Höfen finden sich vielerlei Kunstwerke, Denkmäler und Standbilder, die in künstlerischer Hinsicht kaum über ein Mittelmaß hinausreichen und sich dennoch großer Beliebtheit erfreuen. Hier gilt es weniger einer kunstmilitanten Säuberungsaktion das Wort zu reden, die diese "Geschichten" vernichten würde, aber genau so wichtig sind für jede Gegenwart und Zeitgenossenschaft ein Raumschaffen und ein Platznehmen. Da ist es mitunter hilfreich, die Aufmerksamkeit auf die Komplexität der Beziehung zwischen BetrachterInnen, dem Kunstwerk und den von beiden "bewohnten" Ort zu richten. Indem sich Kunst an ein Publikum richtet und vor allem jene außerhalb der Museums- und Galerieräume dieses aufruft, in einem sowohl körperlichen als auch zeitlichen Begegnungsszenario sich situativ involvieren zu lassen, so ist dennoch die Rezeption nicht beliebig, da sie von der Werkstruktur und den Rezeptionsbedingungen diktiert wird. Was sie bietet ist eine situative Erfahrungsgestaltung: ein Angebot, das von ExpertInnen als konventionell und rückwärtsgewandt oder als anregend und zukunftsbetont, das von Teilen des Publikums als langweilig, von anderen als störend oder auch als bereichernd empfunden wird, das aber auch als provokative Setzung nicht per se als Ärgernis abgetan werden muss, sondern hier in seiner Bild-Störung - im Unterbrechen - als "Gabe" aufgefasst werden kann.
DEN BILDERFLUSS DURCHBRECHEN
"Salzburg: die drittschönste Stadt Europas" titeln heute nicht ohne Stolz Magazine der Stadt und der Tourismuswirtschaft. LeserInnen des US-amerikanischen Reisemagazins "Condé Nast Traveller" wählten Salzburg, gemeinsam mit Venedig, nach Florenz und Rom zur drittschönsten Stadt Europas. Die Wirkmacht des auratisch verklärten Salzburgbildes, wie wir es in den vielen Prospekten und Bildbänden vorfinden, scheint nach wie vor ungebrochen. Wir sollten jetzt aber nicht diesen für die Wirtschaftskraft der Stadt bedeutenden Erfolg kritisieren, müssen uns dennoch fragen, inwieweit unser Blick auf die "eigene" Stadt nicht längst auch von den gleichen Reportagen und Bilderbögen geprägt ist, die Touristen betrachten.
Bilder sind, das wird oft unterschlagen, immer auch Instrumente von Projektionen, von Einbildungen und Gerüchten, von Verdächtigungen und entsprechenden Schlussfolgerungen. Sie können gleichzeitig manipulierend und dadurch Sinn stiftend wirken, wie auch entgegen jeder Sinnstiftung auftreten. Weshalb eine stets erneute "Bildproduktion" nach wie vor für kritische Debatten Sinn macht, liegt an ihrem Potential, die anderswo erzeugten Sichtbarkeiten und Unsichtbarkeiten verschieben und vor allem auch das Dispositiv des Sehens ein klein wenig verrücken zu können.
Roland Barthes hat in seinem wunderbaren Buch ‚Fragmente einer Sprache der Liebe‘ unser Verhalten, wenn wir uns einer fremden Person oder ungewöhnlichen Situation gegenüber sehen, dahingehend beschrieben, dass wir diese mit Hilfe unseres Bildrepertoires taxieren und zumeist jeder weitergehenden Wahrnehmung entziehen. Der Urbanist Kevin Lynch hat eben diesen Verhaltensmodus auch für das Lesen urbaner und städtischer Zonen beschrieben und herausgearbeitet, dass bei einer Nichtübereinstimmung der ‚Bilder‘ sodann auch das Verhalten ein indifferentes bleibt. In einer solcherart selektiven Wahrnehmung lässt sich alles Einlassen auf ein Verwirrendes und Zweideutiges vermeiden. So wird es dann als störendes Fremdes im Blick und in der Erinnerung haften bleiben. Darauf ist auch eine in Salzburg besonders gepflegte und die Leserbriefseiten der Zeitungen füllende Reaktion zurückzuführen: den Komfort des Bekannten und Gewohnten vermissend für jede Änderung eine Erklärung einzufordern. Damit wird die Stadt zu einem Observierungsraum, der auch befähigt wird, präventiv etwaige Störungen einzugrenzen und möglicherweise Konflikt auslösende Kunstprojekte in städtischen Räumen tunlichst zu vermeiden.
Das Konflikthafte von Kunst ist aber niemals bloß ein Vermittlungsproblem und ist auch nicht Ausdruck fehlender Toleranz. Toleranz markiert immer nur von einer dominanten Position aus das, was als der Toleranz bedürftig ausgewiesen wird, ob dies (temporäre) Kunstwerke, Architekturen oder vor allem Menschen betrifft. Auch wird kein Konsens darüber zu finden sein, wie sich Innenstadtplätze geben und wozu sie sich hergeben sollen; vielmehr ginge es darum, ein Gemeinsames im Dissens zu akzeptieren, in einem Verständnis von Gesellschaft, die Fremdheit (in Bezug auf die Kunst könnte man von einem dem Gewohnten Entgegenstehendes sprechen) als konstitutiv und nicht bloß duldend für sich setzt.
HILDEGARD FRAUENEDER
STUDIERTE KUNSTGESCHICHTE, PHILOSOPHIE UND GESCHICHTE IN SALZBURG UND WIEN. SEIT 1988 IST SIE LEHRBEAUFTRAGTE AN DER UNIVERSITÄT SALZBURG UND SEIT 1995 AN DER UNIVERSITAET MOZARTEUM, SEIT 1985 KURATORIN ZAHLREICHER AUSSTELLUNGEN, SEIT 1998 CO-LEITERIN UND SEIT 2001 LEITERIN DER GALERIE 5020/IG BILDENDER KUENSTLERINNEN.